The German Opinion

US-Sportkultur

Zu wenig Pausen, zu wenig Statistik
Zwei Soziologen erklären, warum Amerikaner keine Fußballfans sind Martin Jander

Sportkultur und Kartoffelchips gehören zusammen. Das zumindest schreiben die Amerikaner Andrei S. Markovits und Steven L. Hellerman in ihrem neuen Buch. Aber zur Sportkultur gehört noch mehr: Spieler, Verein, Platz, Fans. All die Kappenträger, all die Schlachtenbummler und all die männlichen Mediennutzer aus den mittleren und unteren Klassen der Gesellschaft, die an der Werkbank, im Büro und auf dem heimischen Sofa die Spiele ihres Vereins mit bebendem Herzen verfolgen. Sie sind die "couch potatoes", die Männer, die bei ständig laufendem Fernseher eine Tüte Kartoffelchips nach der anderen vernichten. Ohne sie ist Sportkultur undenkbar. Ebensowenig wie ohne den nie endenden "guy talk" - ein Wort, das man nur unzulänglich mit "Männergespräch" ins Deutsche übersetzen kann.

Sportfans in allen westlichen Industrieländern sind solche Tatsachen des alltäglichen Lebens sicher vollständig geläufig. Manch einer von ihnen wird sich fragen, ob es sich lohnt, darüber eine soziologische Studie vorzulegen, geschweige denn sie zu lesen. Sie liegen falsch. Andrei S. Markovits, hier zu Lande durch seine politischen Bücher über die Geschichte der Grünen ("Grün schlägt Rot") und die neue Rolle Deutschlands in Europa ("Das deutsche Dilemma") bekannt, hat gute Chancen, mit diesem Sportbuch zum Gegenstand jenes "guy talk" zu werden, den er als zentrales Element der Sportkultur herausarbeitet.

Warum, haben sich der seit seiner Kindheit in Rumänien bekennende Fußballfan Markovits und sein Ko-Autor Hellerman gefragt, gehören sie mit ihrer Leidenschaft in den USA zu einer Minderheit? Warum konnte sich Fußball auf der anderen Seite des Atlantiks nicht durchsetzen? Warum haben sich dort seit dem 19. Jahrhundert Baseball, Basketball, Football und Eishockey zu den dominierenden Sportkulturen entwickelt? Wo doch in Lateinamerika und in Europa nicht vier Sportarten den "guy talk" regieren, sondern nur eine zählt: Fußball eben.

In der Sportkultur sei es wie in der Politik, schreiben die Autoren. Die Strömungen, die sich im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert durchgesetzt hätten, dominieren bis heute. So wenig sich Sozialismus und Sozialdemokratie in den USA etablieren konnten, so wenig konnte es der Fußball. Im Mannschaftssport sind Amerikaner Einzelgänger im Unterschied zu den stärker nationalistischen Fußballfans in Europa und Lateinamerika. Die Ergebnisse von Dream-Team-Olympiamannschaften interessieren die "couch potatoes" der USA weniger als die Spiele ihrer Lokalmannschaften. Niemand würde auch im Traum daran denken, die Hauptsportarten den Regeln eines internationalen Verbandes zu unterwerfen. Außerdem ist im Fernsehzeitalter ein Spiel, das nur eine Halbzeitpause hat - und nicht mehrere Auszeiten - zu wenig werbeträchtig. Ganz abgesehen vom "guy talk": Was soll man mit so einem statistikarmen Spiel wie Fußball anfangen? US-Fans kennen die Wurfstatistiken ihrer Baseballstars bis auf drei Stellen hinter dem Komma. Aber Statistik im Fußball: Fehlanzeige.

Die kleinen und großen Geheimnisse der internationalen Sportkultur werden im neuen Buch "Offside" (Abseits) von Markovits und Hellerman auf sehr vergnügliche Weise ausgebreitet und analysiert. Reichlich Stoff für den "guy talk" der Fans, aber auch für Anhänger der kulturhistorischen Soziologie. Wer beides pflegt, hat doppelt Spaß.

Andrei S. Markovits / Steven L. Hellerman: Offside. Soccer and American Exceptionalism.
Princeton University Press 2001, 45 Mark



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